Was ist die Anamnesegruppe?

Übersicht:
1. Der Anamneseabend – was erwartet mich?
2. Mögliche Lernziele der Anamnesegruppe
3. FAQ

Der Anamneseabend – was erwartet mich?

Am Abend führt eine*r der Teilnehmer*innen in Gegenwart der anderen ein Gespräch mit einer Patientin oder einem Patienten. Im Anschluss an das Gespräch erhält der/die Gesprächsführer*in die Möglichkeit, von der Gruppe eine Rückmeldung über die Gesprächsführung und den Gesprächsverlauf zu erhalten. Diese Gelegenheit, das eigene Kommunikationsverhalten beobachten und reflektieren zu lassen, ist ein wichtiger Bestandteil der Anamnesegruppen.

Danach werden in freier Diskussion meist auch die Krankengeschichte des/der Patient*in und Aspekte der Beziehung zwischen Gesprächsführer*in und Patient*in thematisiert. Prinzipiell bestimmen die Teilnehmer*innen der Gruppe selbst, worüber sie sprechen möchten.

Typischer Bestandteil einer Anamnesegruppe sind außerdem so genannte „Blitze“, also das Sammeln von Stimmungseindrücken der einzelnen Teilnehmer*innen zu Beginn und Ende des Abends sowie nach dem Gespräch. Ziel ist es, Gefühle, die der Patient auslöst, bewusst wahrzunehmen und zum Beispiel auf Phänomene wie Übertragung (also die eigene Haltung gegenüber Personen, die ihren Ursprung unbewusst in den Beziehungen zu wichtigen Personen der Kindheit hat) und Gegenübertragung (dasselbe Geschehen beim Gesprächspartner) aufmerksam zu werden.

Damit Teilnehmer*innen, die zum jeweiligen Termin verhindert sind, das Gespräch und die Diskussion nachvollziehen können und zur weiteren Reflexion des Abends, wird an jedem Abend ein Protokoll angefertigt.

Zwei mal im Semester erhält die Gruppe Unterstützung durch eine*n Supervisor*in. Hier besteht die Möglichkeit Themen und Probleme, die die Gruppe beschäftigen, zu vertiefen und neue Denkanstöße zu erhalten.

Lernziele der Anamnesegruppe

Lernen in der direkten Konfrontation mit der praktischen Situation

Da der Kontakt zu Patient*innen im Studium erst relativ spät und nur in geringem Ausmaß vorgesehen ist, bietet die Anamnesegruppe ein begleitendes Angebot, um kommunikative Kompetenzen zu erwerben. Wir denken, dass es sehr wichtig ist, Student*innen einen Rahmen zu geben, theoretisches Wissen in einer praktischen Situation selbst zu erarbeiten und die sich daraus ableitenden Fähigkeiten in einem geschützten Raum auszuprobieren.

Förderung einer tragfähigen Beziehung zu patient*innen

In der Anamnesegruppe wollen wir vermitteln, dass die Interaktionsebene zwischen medizinischem Personal und Patient*innen ein wesentlicher Bestandteil der Beziehung zum/zur Patient*in ist und dass dieser ebensoviel Bedeutung beigemessen werden muss wie der Informationsebene. Es ist unserer Ansicht nach wichtig, sich als Partner*in der Patient*innen zu verstehen.

Schulung der Gesprächskompetenz

Hier muss gleich anfangs erwähnt werden, dass es nicht darum geht, ein Anamnesegespräch nach einem bestimmten Schema möglichst perfekt abzuwickeln.  Viel mehr geht es darum, den Teilnehmer*innen den Rahmen zu bieten, Gespräche mit den Patient*innen auf ihre eigene Art zu führen.

Ein weiterer Faktor ist, dass die Teilnehmer*innen die Möglichkeit haben, auszuprobieren, auf welchem Weg sich ein positives Gesprächsklima herstellen lässt, das ein produktives Gespräch erleichtert bzw. erst ermöglicht.

Dieses Training mit seinen immer neuen Erfahrungen und Erlerntem führt so zu einem autonomen Wachstum der Kompetenz der Gesprächsführung. Damit dieses Training effizient ist, ist eine regelmäßige Teilnahme an den Gruppenabenden erforderlich.

Vermitteln eines biopsychosozialen Menschenbildes

Bei der Psychosomatik handelt es sich nicht um eine weitere Spezialisierung oder Vernachlässigung im Bereich des Beobachtens somatisch-biologischer Vorgänge, sondern primär darum, psychosoziale Hintergründe für die Ätiologie, Pathogenese, Verlauf und Prognose einer Krankheit ebenso ernst zu nehmen wie physikalische, chemische,  mikrobielle und immunologische Faktoren.

Schulung der Empathie

Dazu gehört das Bemühen um die Erfassung des subjektiven Krankheitsempfindens der Patient*innen. Da jeder Mensch aufgrund seiner individuellen Erfahrung und Geschichte verschiedene Veränderungen seines Körpers unterschiedlich erlebt, darf nicht davon ausgegangen werden, wie man selbst oder andere Patient*innen diese Krankheit wahrnehmen. Was für den Patienten/die Patientin von Bedeutung ist, ist einzig seine eigene, subjektive Wahrnehmung.
In der Anamnesegruppe kann erfahren werden, wie anfällig das eigene Verhalten den gefühlsmäßigen Eindrücken den Patient*innen gegenüber und umgekehrt ist.  Und wie sehr wir Ärzt*innen und Psycholog*innen im Umgang mit Patient*innen in ihrer Person nicht nur ein diagnostisches Instrument besitzen, sondern sie mit ihrem Verhalten auch eine positive oder negative therapeutische Funktion ausüben. So beeinflusst der/die Ärzt*in / Psycholog*in mit dem eigenen Verhalten beispielsweise die Beziehung zum/zur Patient*in, die Compliance sowie die Motivation und das Vertrauen des/der Patient*in. Über lange Strecken besteht der psychologische Umgang mit den Patient*innen auch darin, emotionale Signale wahrzunehmen, emotionales Geschehen zuzulassen und zu probieren, bewusst damit umzugehen.

Lernen in der Gruppe

In der Anamnesegruppe soll die Brücke vom „Einzelkämpfer“ im Studium zum teamfähigen und interdisziplinär arbeitenden Mensch geschlagen werden. Die Kleingruppe stellt ein berufsbezogenes Modell für eine arbeitsteilige Medizin dar. Student*innen sollen lernen, in und mit einem Team zusammenzuarbeiten, die einzelnen Gruppenmitglieder nicht als Konkurrent*innen zu sehen, sondern als Bereicherung zu erfahren und von ihnen zu profitieren. So besteht für den Gesprächsführenden oder die Gesprächsführende die Möglichkeit, von den Gruppenmitgliedern ein Feedback zu hören. So kann er/sie viel über sich, das eigene Agieren und die eigene Wirkung auf andere erfahren.  

Selbstreflexion

Durch den Kontakt mit Patient*innen werden Teilnehmer*innen mit schwierigen Fragen über sich selbst konfrontiert, mit denen wir uns in der Anamnesegruppe gemeinsam beschäftigen können, wie z.B.:

Wie viel Emotion kann ich bei mir zulassen und dabei arbeitsfähig bleiben? Wie kann ich mich an meinen Grenzen verhalten? Wie kann ich Grenzen setzen? Wie viel Beziehung will ich? Wie beziehungsfähig bin ich? Wie gehe ich mit schwierigen Themen wie zum Beispiel chronischen Erkrankungen, Tod, Sterben, Suizidalität, Aggressivität, Sexualität, Angst, Sucht sowie den damit zusammenhängenden ethischen Fragen um?

FAQ:

  • Wie viel medizinisches Vorwissen wird erwartet?

Wir sind offen für die Studienrichtungen Medizin, Zahnmedizin und Psychologie.

Für die Teilnahme an der Anamnesegruppe wird keinesfalls erwartet, dass Du Dich mit medizinischen Details auskennst.

Du solltest Mut mitbringen, um dich in neuen und ungewohnten Situationen einzubringen, und Freude am offenen Austausch mit anderen Studierenden verschiedener Disziplinen haben.

Im Rahmen der Anamnesegruppen werden keine körperlichen Untersuchungen durchgeführt und es ist nicht das Ziel eine Diagnose zu stellen, sondern das Gespräch mit den PatientInnen zu üben und die Fragen und Probleme, die sich daraus ergeben, zu bearbeiten.

  • Wie und wann kann ich teilnehmen?

Die einzelnen Anamnesegruppen treffen sich 1x wöchentlich für 2,5 Stunden am frühen Abend (19:00-21:30). Eine Teilnahme am freien Wahlfach Anamnesegruppe ist über 2 Semester möglich. Wir bieten Gruppen an jedem Abend von Mo bis Do und mit Gesprächen auf Stationen aus verschiedenen Fachbereichen an. Die Anmeldung ist jeweils im Oktober und im März an einem unserer Einteilungsabende sowie über MedOnline möglich. Informationen zum Ort und genauem Datum findest Du immer aktuell hier auf der Homepage.

  • Welchen Patient_Innen werde ich begegnen?

Zur Zeit arbeiten die Anamnesegruppen am LKH Graz in der Kardiologie, Nephrologie, Kieferchirurgie, Neurologie, HNO, Hämatologie, Dermatologie, Onkologie, Gynäkologie, Urologie, Rheumatologie, Psychiatrie und am LKH Süd.

Das bedeutet, dass Du jede Woche auf einer anderen Klinik sein wirst, und Patient*innen mit unterschiedlichsten Krankheitsbildern und Vorgeschichten begegnen wirst.

Die einzelnen Patient*innen werden von unseren Ansprechpartnern an der jeweiligen Klinik, also von den verantwortlichen Ärzt*innen und Pflegepersonal ausgewählt.

Der/die Patient*in wird von uns ausführlich aufgeklärt und informiert. Die Teilnahme der Patient*innen erfolgt selbstverständlich auf freiwilliger Basis und die Student*innen unterliegen der Schweigepflicht.

  • Besteht Anwesenheitspflicht?

Wir erwarten von allen, die bei uns mitmachen wollen, eine regelmäßige Teilnahme. Für die Anrechnung als Wahlfach (und damit auch die 3 ECTS) dürfen nicht mehr als 2 Einheiten pro Semester versäumt werden.

  • Wird die Teilnahme mit einem Zeugnis bescheinigt?

Ja. Voraussetzung für die Ausstellung eines Zeugnisses ist die regelmäßige Teilnahme (nicht mehr als 2 Fehltermine pro Semester), das Schreiben eines Protokolls, eine aktive Mitarbeit und die Anfertigung einer abschließenden Reflexionsarbeit.